Auf den Spuren der Geschichte Niedersachsens und der Demokratie

Archivkästen aus dem Bestand von Marianne Fritzen im Gorleben Archiv
Archivkästen aus dem Bestand von Marianne Fritzen im Gorleben Archiv (© Kina Becker / Gorleben Archiv)

Sommerreise der Landtagspräsidentin
2. September 2021

4. Station: Lüchow – Das Gedächtnis des Widerstandes gegen das Atommülllager Gorleben

Als 2020 die Meldung über die Nachrichtenkanäle lief, konnten viele Menschen in Lüchow-Dannenberg es zunächst nicht glauben: Der Salzstock Gorleben wird kein Endlager für Atommüll werden. 43 Jahre lang hatten viele von ihnen für dieses Ziel protestiert, nun war es erreicht. Bundesweit für Aufsehen sorgte der Gorleben-Treck im März 1979, als sich Bürgerinnen und Bürger sowie Landwirte mit 350 Traktoren, 100 Autos und Fahrrädern nach Hannover aufmachten. Der Treck mündete in einer Großkundgebung. Kurz darauf im Mai 1980 besetzten Atomkraft-Gegner die Bohrstelle 1004, riefen die „Freie Republik Wendland“ aus und erprobten im Hüttendorf alternative Lebens- und Wohnformen. Ihnen folgten zahllose Widerstandaktionen.

Diese waren Teil der damals aufkommenden neuen sozialen und ökologischen Bewegungen in der Bundesrepublik. Aus ihnen entstand ein neues politisches Bewusstsein, die Partei die Grünen sowie einige Bürgerinitiativen. So auch im Wendland, wo sich unter anderem die Bäuerliche Notgemeinschaft und die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg gründete. Dr. Gabriele Andretta betont: „Der Protest im Wendland gegen das Atommülllager Gorleben hat Niedersachsen verändert. Was ihn besonders auszeichnet – er wurde und wird von einer breiten gewaltfreien Allianz getragen. Dies ist sicherlich wichtiger Grund seines Erfolges.“

Teil dieses zivilen Widerstandes war Marianne Fritzen. 1979 nahm sie mit 55 Jahren erstmals an einer Straßenblockade im Wendland teil, um Baufahrzeuge zur Erkundung des Salzstockes an der Weiterfahrt zu hindern. Ihr Foto – eine kleine Frau mit Strickmütze vor einer Kette von Polizisten – lief über die Nachrichtenagenturen. Rückblickend zu ihrem Antrieb befragt, sagte sie: „Weil es ein­fach Gren­zen gibt, die das Gewis­sen setzt.“ Fritzen wurde Vorsitzende der Bürgerinitiative Umweltschutz, gründete die Grüne Liste Umweltschutz und das Gorleben Archiv. Letzteres bewahrt das Gedächtnis der Proteste und mittlerweile den Nachlass von Fritzen, die 2016 starb. An ihr Leben und gesellschaftspolitisches Engagement erinnert seit kurzem ein sogenannter Frauenort, den Dr. Ingrid Holst, Gleichstellungsbeauftragte der Samtgemeinde Lüchow mitorganisiert hat. Die Initiative des Landesfrauenrates will vorbildliche Lebensleistungen von Frauen sichtbar machen. https://www.frauenorte-niedersachsen.de/

Im Gorleben Archiv https://www.gorleben-archiv.de/ befindet sich sogar die Strickmütze von Fritzen. Vorsitzende des Trägervereins ist Gabi Haas, Birgit Huneke leitet das Archiv. Ihre Arbeit und die ihrer Unterstützer werden sie der Landtagspräsidentin vorstellen. Für Haas und Huneke gehört der Widerstand gegen Gorleben untrennbar zu ihrem Leben. Die Geschichte des wendländischen Widerstandes wollen sie für die kommenden Generationen bewahren und weitergeben. Dazu sammeln sie nicht nur Schriftliches, sondern führen auch Interviews mit Zeitzeugen, organisieren Ausstellungen und publizieren. Zumal der Atommüll derweil noch nicht aus dem Wendland verschwunden ist und in oberirdischen Zwischenlagern liegt. Noch ist ihr Ziel nicht gänzlich erreicht.

Birgit Huneke, Leiterin des Gorleben-Archivs, führt Dr. Gabriele Andretta durch die Archivräume. (© Dr. Stefanie Waske/Niedersächsischer Landtag)
Ein wichtiger Bestand des Archivs besteht aus Fotografien. (© Dr. Stefanie Waskie/Niedersächsischer Landtag)