Vom 9. bis 16. Mai 2023 besuchte eine Delegation des Präsidiums des Niedersächsischen Landtages unter Leitung von Landtagspräsidentin Hanna Naber Israel und das Westjordanland. Der Besuch war von der unerwarteten Eskalation im Nahostkonflikt begleitet, die während der gesamten Reise spürbar und Thema in sämtlichen Terminen vor Ort war. Die Präsidiumsdelegation konnte trotz der aktuellen Situation in zahlreichen Begegnungen auch über Themen wie Demokratie, Erinnerungskultur und zivilgesellschaftliches Engagement sprechen. Dazu ein Überblick:
Steffen Seibert, deutscher Botschafter in Israel, empfing die Delegation in Tel Aviv zu einem Briefing über die aktuelle politische und gesellschaftliche Situation in Israel, in dem er auch seine persönlichen Eindrücke und Einschätzungen gegenüber der Delegation erläuterte. Zudem waren die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Israel und Deutschland Thema beim Austausch in der Deutschen Botschaft.
Bei einem Termin im israelischen Außenministerium in Jerusalem betonte der stellvertretende Generaldirektor Emmanuel Nahshon die Bedeutung der deutsch-israelischen Beziehungen und des Kampfes gegen den zunehmenden Antisemitismus. Er stellte die israelische Sichtweise auf die aktuelle Entwicklung im Nahostkonflikt dar. In Jerusalem besuchte die Delegation zudem die Knesset, um sich mit der Arbeit und Funktionsweise des israelischen Parlamentes vertraut zu machen.
Die palästinensische Perspektive auf den Nahostkonflikt und die aktuelle Lage wurde bei einem Besuch im Westjordanland deutlich, insbesondere bei einem Zusammentreffen der Delegation mit der stellvertretenden Außenministerin Amal Jadou in Ramallah.
Neben den Kontakten mit offiziellen Stellen und Institutionen suchte die Delegation im Rahmen der Reise den Austausch zu Vertreterinnen und Vertretern von politischen Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen in Israel und den Palästinensischen Gebieten. Unter anderem sprachen die Vertreterinnen und Vertreter des Niedersächsischen Landtages mit Noa Sattath, Geschäftsführerin der größten und ältesten Bürgerrechtsorganisation Association for Civil Rights in Israel, über die geplante Justizreform sowie den Protest dagegen und weitere Pläne der amtierenden israelischen Regierung.
Im Gespräch mit Ammar Dwaik, Generaldirektor der Independent Commission for Human Rights, und Sama Aweidah, Leiterin des Women’s Studies Centre sowie Trägerin des deutsch-französischen Menschenrechtspreises, im Westjordanland ging es unter anderem um die Lage der Frauen in den Palästinensischen Gebieten und um weitere Menschenrechtsthemen.
Die Delegation traf zudem mit Vertreterinnen und Vertretern deutscher kirchlicher Institutionen in Jerusalem zusammen, um sich über die Arbeit des Deutschen Vereins vom Heiligen Lande und des lutherischen Weltbundes in Jerusalem – vor allem im Gesundheits- und Bildungsbereich – informieren zu lassen.
Der Austausch mit Vertreterinnen und Vertretern der Zivilgesellschaft wurde auch am letzten Tag der Delegationsreise mit einem Gespräch mit Yony Tchouna, dem Direktor des Israel Violance Reduction Center in Tel Aviv, fortgesetzt.
Alle Kontakte waren geprägt durch die Überzeugung, dass gegenseitiges Zuhören und der unmittelbare Austausch dabei helfen können, den mehr als komplexen Nahostkonflikt in seiner Vielschichtigkeit besser zu verstehen. Auch ging es der Delegation darum, die derzeitigen Entwicklungen der israelischen Demokratie tiefgreifender nachvollziehen zu können.
Wie das gegenseitige Verstehen mit Blick auf die Zukunft gestärkt werden kann, erlebten die Delegationsteilnehmerinnen und -teilnehmer an der Hand in Hand Schule in Jerusalem. Während Schülerinnen und Schüler in Israel überwiegend nach Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe an unterschiedlichen Schulen unterrichtet werden, findet an der Hand in Hand Schule in Jerusalem bewusst ein gemeinsamer Unterricht auf Hebräisch und Arabisch statt. Die Schülerinnen und Schüler sollen die verschiedenen Lebenswelten ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler kennenlernen und so Respekt und Verständnis füreinander entwickeln.
Am runden Tisch mit Forschenden des Technion, der größten und ältesten technischen Hochschule Israels, stand der wissenschaftliche Austausch im Fokus – insbesondere die Zusammenarbeit zwischen israelischen und niedersächsischen Institutionen und Unternehmen. Die Delegation informierte sich über die interdisziplinär ausgerichtete Arbeit des Technion ebenso wie über internationale Forschungsprojekte. So bieten beispielsweise das Technion und die Leibniz Universität Hannover ein erfolgreiches Doppelpromotionsprogramm an. Beide Seiten betonten in den Gesprächen den Mehrwert von Interdisziplinarität und Internationalität.
Im Kibbuz Yagur wurde die Delegation des Landtagspräsidiums von Iftah Shachar empfangen, dem Enkel von Salomon Weinberg, der die Landschaftsarchitektur in Israel und Palästina wesentlich mitgestaltet hatte und zuvor unter anderem an der Gartenbauschule in Ahlem ausgebildet worden war. Bei dem Besuch ging es nicht nur um die Geschichte des Kibbuzes, sondern im Gespräch mit jungen Bewohnerinnen auch um dessen aktuelle Entwicklung.
Die Termine wurden ergänzt durch den Besuch von Massada sowie der Altstadt von Jerusalem mit dem Tempelberg als Orte mit zentraler historischer und aktueller Bedeutung für das heutige Selbstverständnis Israels und die politische Situation im Nahen Osten.
Die Erinnerung an die Shoah und die Verbrechen der Nationalsozialisten waren ein wesentlicher Aspekt des Besuchs in Israel. Vielfältiger Antisemitismus und der Umstand, dass immer weniger Zeitzeuginnen und Zeitzeugen von den Gräueltaten der Nationalsozialisten und deren Anfängen berichten können, stellen enorme Herausforderungen für die weitere Gedenkarbeit dar.
In einem intensiven Gespräch erzählte die 1921 in Berlin geborene Marianne Karmon aus ihrer bewegenden Lebensgeschichte und berichtete von ihrer Arbeit für die deutsch-israelische Verständigung.
Der Delegation war es ein zentrales Anliegen, die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem zu besuchen. Nach einer Führung durch das Museum legte Landtagspräsidentin Hanna Naber einen Kranz in der Hall of Remembrance nieder und trug sich anschließend in das Gästebuch der Gedenkstätte ein (Auszug): „Dieser Ort berührt unmittelbar unsere Seele und ruft tiefe Gefühle hervor (…). Yad Vashem erinnert uns in einzigartiger Weise an unsere historische und politische Verantwortung. Wir erneuern an diesem Ort unser Bekenntnis zum Einsatz gegen jegliche Form von Antisemitismus und zur unverbrüchlichen Freundschaft mit Israel.“